11. Dezember 2019, 11:58 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Von Sexsucht wird häufig scherzhaft gesprochen. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine echte Krankheit (Fachbegriff: Hypersexualität), die den Betroffenen das Leben sehr erschweren kann. FITBOOK erklärt, wo man die Grenze zwischen einer regen und einer krankhaften Sexualität ziehen muss und welche Möglichkeiten zur Therapie es gibt.
Der bekannteste Fall von Sexsucht ist wohl der von Profigolfer Tiger Woods (43). Nach zahlreichen Seitensprüngen bekannte er sich öffentlich dazu, seine Familie betrogen und Fans enttäuscht zu haben – er sei krank. Im Versuch seine Ehe zu retten, begab er sich in stationäre Therapie. Seit 2010 sind er und Elin Pernilla (39) getrennt.
Mitleid gab es für Woods, der kurz nach seiner Sexsucht-Beichte einige Sponsorenverträge verlor, kaum. Das könnte (auch) daran gelegen haben, dass die Krankheit damals noch nicht offiziell als solche definiert war. Dies hat sich im Juli 2018 geändert: Da erkannte die Weltgesundheitsorganisation WHO Hypersexualität als psychische Störung an.
Was bedeutet Sexsucht?
Strenggenommen ist der Name Sexsucht nicht korrekt. Bei dem Krankheitsbild handelt es sich vielmehr um eine Art Zwangsverhalten bzw. Impulskontrollstörung. Korrekter ist daher der Fachbegriff Hypersexualität, wenngleich Sexsucht verstanden wird und gebräuchlich bleibt.
Im Leben von Betroffenen nimmt Sexualität extrem viel Raum ein. Je nach Schwere der Erkrankung kann es ihnen Probleme bereiten, ein normales soziales Leben zu führen und Alltagsverpflichtungen (z.B. ihrer Arbeit) nachzugehen. In ständiger Gier nach Befriedung investieren sie viel Zeit in den Konsum von Pornografie, Selbstbefriedigung und – wenn verfügbar – Verkehr mit am liebsten wechselnden Partnern. Sex wird für -süchtige etwas Zweckmäßiges, dessen Dosis sie mehr und mehr steigern müssen (in diesem Punkt sind sie vergleichbar mit Alkohol- oder Drogensüchtigen), um noch etwas zu spüren. Zuverlässigkeit und Treue werden da zur Herausforderung.
Welche Symptome können auf die Störung hinweisen?
Eine konkrete Abgrenzung zu einer regen Sexualität ist schwer. So ist jemand nicht automatisch sexsüchtig, weil er öfter mal an Sex denkt (das tun „normale“ Männer und Frauen angeblich zwischen zehn und 20 Mal am Tag), gerne und häufig Pornos sieht oder weil er mehrmals täglich mit (s)einem Partner schlafen will. Wenn das Sexfilm-Schauen oder ausschweifende Fantasieren mehrere Stunden am Tag einnimmt und deshalb etwa Termine ignoriert werden, könnte es sich hingegen schon um ein Symptom handeln. Ebenso wenn Menschen zwanghaft ständig neue Partner brauchen, weil derselbe schnell an Reiz verliert. Mediziner sprechen von einer Toleranzentwicklung.
Als wesentliches Symptom gilt Kontrollverlust, sprich dass Patienten ihren Trieb nicht mehr unterdrücken können. Das hat zur Folge, dass sie sich zu sexuellen Handlungen hinreißen lassen, auch wenn diese für sie (und/oder ihre Mitmenschen) mit ungewünschten Folgen verbunden sein könnte.
Wie kommt es zur Krankheit?
So schwer es ist, verlässliche Anzeichen zu definieren, verhält es sich auch mit den Ursachen für Sexsucht. Wissenschaftler gehen davon aus, dass Betroffene oft eine gewisse Veranlagung mitbringen oder aufgrund traumatischer Erlebnisse (z.B. in der Kindheit) ein gestörtes Verhältnis zu Sexualität entwickeln. Aber auch der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema spielt eine Rolle. Die einfache Verfügbarkeit von Pornografie, aber auch von unverbindlichen sexuellen Beziehungen hat eine gewisse Abgestumpftheit in der Öffentlichkeit herbeigeführt. Es fühlt sich weniger verwerflich an, Sex als etwas Praktisches, Funktionales zu „gebrauchen“.
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Ist Sexsucht heilbar?
Hypersexualität heilt sich in der Regel nicht selbst. Es sind noch keine randomisierten Kontrollstudien zu effektiven Psychotherapieverfahren bei Hypersexualität durchgeführt worden. Meist ist daher eine individuelle psychologische Betreuung nötig, um zu verstehen, welche Rolle Sex beim entsprechenden Patienten erfüllt. Dient die Stimulation dazu, andere Probleme zu verdrängen – und falls ja, welche? Was wird dadurch kompensiert und was dient als Trigger? Die Anerkennung als psychische Störung durch die WHO hat zur Folge, dass die Krankenkasse Betroffene bei der Suche Therapeuten unterstützt und unter Umständen auch die Kosten trägt.
Ziel der Therapie ist es nicht, den Betroffenen ihren Sextrieb abzugewöhnen. Mit dem richtigen Engagement können sie jedoch lernen, ihren Trieb besser zu kontrollieren und wieder echte Lust und Intimität zu empfinden.
Wer Hilfe sucht, wird im Internet leider nicht so leicht fündig. Betroffene können sich aber bspw. an die Landesstelle Berlin für Suchtfragen e.V. wenden.
Fachliche Beratung durch Prof. Dr. med. Hans Moises, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie aus Frankfurt am Main.