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Geräuschempfindlichkeit

Wie oft kann man Ohrstöpsel tragen, ohne süchtig zu werden?

Ohrstöpsel
Ohrstöpsel dauerhaft und auch tagsüber zu tragen, birgt laut Experten Risiken Foto: Getty Images
Isabel Adolf Freie Autorin

01.02.2021, 11:43 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Viele Menschen benutzen regelmäßig bis täglich Ohrstöpsel, um das Schnarchen ihres Partners, Straßenlärm oder andere Geräusche auszublenden. Ist das bereits eine Ohrstöpselabhängigkeit? PD Dr. med Uwe. H. Ross, Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Psychotherapeut, erklärt im Gespräch mit FITBOOK, wann das Benutzen von Ohropax und Co. gefährlich werden kann.

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Wegen der lautstarken Party der Nachbarn oder der Triebwerke im Flugzeug – die meisten Menschen haben schon einmal Ohrstöpsel getragen. Viele neigen aber dazu, diese auch in Alltagssituationen, vor allem nachts zu benutzen, um besser schlafen können. Machen Ohrstöpsel süchtig?

Wie oft kann man Ohrstöpsel benutzen, ohne süchtig zu werden?

PD Dr. med Uwe Ross, Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Psychotherapeut, behandelt seit über 20 Jahren Patienten, die unter einer Geräuschempfindlichkeit leiden. Er betont im Gespräch mit FITBOOK: „Wenn jemand gelegentlich Ohrstöpsel zum Schlafen trägt, weil der Partner gerade besonders laut schnarcht, ist das gesundheitlich nicht bedenklich, für jede Nacht kann ich es aber nicht empfehlen“. Denn mit der Zeit stellt sich ein Gewöhnungseffekt ein. Je häufiger sie getragen werden, desto schwieriger wird es ohne sie zur Ruhe zu kommen. Ohrstöpsel können also durchaus süchtig machen.

Zwischen der Ohrstöpselbenutzung und der Geräuschempfindlichkeit entsteht ein Teufelskreislauf: „Wir sind geräuschempfindlich und greifen deswegen zu Ohrstöpseln. Das Gehirn würde diese Geräuschempfindlichkeit eigentlich ausgleichen (Gewöhnungseffekt), wenn dann aber nur Stille kommt, dreht es die Geräuschempfindlichkeit weiter hoch“, erklärt Dr. Ross. Das geschieht prinzipiell, wenn Sinnesreize, auch visuelle, abgeschirmt werden. Hält man sich etwa lange im Dunklen auf, kann es unangenehm sein, ans Tageslicht zu treten.

Gibt es Alternativen zu Ohrstöpseln?

„Menschen, die zur häufigen Benutzung von Ohrstöpseln neigen, konzentrieren sich zu sehr auf Außengeräusche“, sagt Dr. Ross. Oft stecken Unsicherheit und Ängste dahinter. Um gut schlafen zu können, ist es entscheidend, Außengeräusche auszublenden. Und das können wir lernen. Achtsamkeitsmeditationen oder das Hören positiv konnotierter Geräusche sind dafür besonders wirksam. „Mit unseren Lieblingsgeräuschen aktivieren wir unser Belohnungssystem“. Das können etwa beruhigendes Katzenschnurren, Regen, der sanft auf ein Zeltdach plätschert oder Vogelgezwitscher sein. Verschiedene Apps bieten wohltuende Geräusche (z. B. myNoise.net) oder Meditationen an (z. B. 7Mind), die uns beim Einschlafen helfen können.

Wie sollte man Ohrstöpsel reinigen?

Wenn wir trotzdem nicht auf das Tragen von Ohrstöpseln verzichten wollen, sollten wir einige Regeln beachten. Denn Ohrstöpsel machen anfälliger für Ohrentzündungen. „Stöpsel aus Wachs oder Schaumgummi haben eine vergleichsweise große Oberfläche, die schnell bakteriell besiedelt ist – eine Gehörgangsinfektion kann die Folge sein“, so Dr. Ross. „Benutzen Sie Ohrstöpsel aus Silikon, die eine glatte Oberfläche haben und die Sie täglich mit Wasser reinigen können oder lassen Sie sich die Ohrstöpsel bei einem Hörakustiker anfertigen“.

Durch das regelmäßige Tragen von Ohrstöpseln kann es außerdem sein, dass das Ohrenschmalz in den Gehörgang geschoben wird. So kann das Ohr verstopfen. „Ich erlebe das allerdings öfter bei In-Ear-Kopfhörern“, berichtet Dr. Ross. Bei häufiger Benutzung ist es in beiden Fällen sinnvoll, gelegentlich einen HNO-Arzt aufzusuchen, um sich die Ohren professionell reinigen zu lassen. Wie viel Ohrenschmalz sich bildet ist sehr individuell.

Der Experte warnt davor, die Ohren mit Q-Tips zu säubern. „Das Ohrenschmalz ist das gesündeste Hautpflegemittel, es reinigt das Ohr, hält es geschmeidig und fließt von selbst ab“. Wattestäbchen sollte man nur benutzen, um das Ohr äußerlich mit Wasser zu reinigen. Bei Juckreiz in den Ohren, empfiehlt der Facharzt Mandelöl aus der Apotheke. „Geben Sie ein, zwei Tropfen ins Ohr“. So fließt das Ohrenschmalz besser ab und etwaiger Juckreiz wird gestillt.

Auch interessant: Ohren besser nie mit Wattestäbchen reinigen

Ohrstöpsel dauerhaft und auch tagsüber zu tragen, birgt Risiken

„Wer nun allerdings auch tagsüber im Alltag beginnt, Ohrstöpsel zu tragen, wird akustisch sehr dünnhäutig und hat ein großes Risiko, eine sogenannte Hyperakusis zu entwickeln“, erklärt Dr. Ross. Die Geräuschempfindlichkeit kann als Begleiterscheinung einer psychischen Erkrankung wie etwa einem Burnout entstehen, sie kann aber auch durch das dauerhafte Tragen von Ohrstöpseln ausgelöst werden. „Es gibt Patienten, die so empfindlich sind, dass sie bei einem Hörtest Schweißausbrüche bekommen“. Geklapper von Geschirr oder das Gebläse eines Computers werden für sie zu unerträglichen Geräuschkulissen.

Hyperakusis: Gesunde Ohren können Geräusche nicht mehr aushalten

Bei dem Krankheitsbild „Hyperakusis“ empfinden Patienten, die eigentlich gesunde Ohren haben, das Hören als schmerzhaft. Im ICD-10, der aktuellen Version der „Internationalen Klassifikation von Krankheiten“ zählt die Hyperakusis zu den „abnormen Hörempfindungen“. Die Deutsche Tinnitus-Liga definiert die Erkrankung als „Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen sämtlicher Frequenzen auf einem oder beiden Ohren“. Tinnitus-Patienten sind besonders häufig von einer Hyperakusis betroffen.

Abnorme Hörempfindungen
Zu den abnormen Hörempfindungen zählt neben der Hyperakusis auch der Tinnitus. Bei dieser Erkrankung handelt es sich um ein Rauschen, Klingeln oder Pfeifen in den Ohren, das anhaltend oder immer wieder auftritt. Es wird subjektiv wahrgenommen, die Geräusche hört also nur der Betroffene selbst.

Schneller Behandlungserfolg mit einer Psychotherapie

Weil die meisten Therapeuten sich mit einer Hyperakusis nicht auskennen und sich akustisches Wissen aneignen müssten, sollte man sich für eine erfolgreiche Behandlung an einen HNO-Arzt wenden, der zusätzlich als Psychotherapeut ausgebildet ist.

„Der erste Schritt ist eine Zumutungstherapie“ erklärt Dr. Ross. „So wie bei einer Angsttherapie werden die aversiven Reaktionen bewusst ausgelöst“. Die meisten Patienten haben Angst, sich einer Schallquelle auszusetzen, da sie befürchten, dass Ihre Ohren Schaden nehmen. „Sie bekommen eine App an die Hand, mit der Sie die Dezibel bestimmter Schallquellen messen können und dabei feststellen, dass zum Beispiel Geschirrgeklapper mit etwa 70 Dezibel nicht hörschädigend ist“. Für die Patienten ist es sehr beruhigend, zu erfahren, dass die meisten Geräusche unter 130 Dezibel liegen, also nicht akut hörschädigend sind. Zum Vergleich: Silvesterböller können mit 130 Dezibel in Millisekunden einen Hörschaden hervorrufen.

„Im zweiten Schritt der Therapie findet eine Desensitivierung statt“. Patienten setzen sich bewusst Geräuschen aus, die für sie positiv konnotiert sind, wie etwa ihrer Lieblingsmusik. „Sie haben die Aufgabe, diese Musik einige Tage immer lauter zu stellen, und sie bis an ihre Grenzen zu hören“. Die Unbehaglichkeitsschwelle steigt so sehr schnell an und wird wieder normal.

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Hyperakusis als Begleiterscheinung von Burnout

Tritt die Hyperakusis zusammen mit einem Burnout auf, erfordert sie jedoch eine längere Therapie. „Bei einem inneren Erschöpfungszustand bauen wir zunächst die Bewältigungsressourcen des Patienten, das heißt die Widerstandskraft (Resilienzen) gegenüber Geräuschen wieder auf“. Erst danach wird die Geräuschempfindlichkeit im Sinne der Desensitivierung behandelt.

Eine Anlaufstelle finden Tinnitus- und Hyperakusis-Betroffene auch bei der Tinnitus Selbsthilfe, die eine Datenbank mit Kliniken, Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen zur Verfügung stellt.

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