29. Juni 2023, 11:15 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Wenn die Hände einschlafen, denken sich viele erst einmal nichts dabei. Doch diese Beschwerden darf man keinesfalls ignorieren. Sie können auf das Karpaltunnelsyndrom hindeuten. Und das kann ohne Behandlung dauerhafte Folgen haben. Derzeit wird eine neue Therapiemethode getestet, die eine Operation womöglich bald überflüssig machen könnte. Entscheidend ist die rechtzeitige Diagnose.
Es ist ein häufiges neurologisches Problem: Jeder Sechste ist im Laufe seines Lebens vom Karpaltunnelsyndrom betroffen, Frauen doppelt so häufig wie Männer1: Ein eingeklemmter Nerv am Handgelenk, der mit Schmerzen, Taubheit, Kribbeln und dem Gefühl einer „eingeschlafenen Hand“ einhergeht. Die Behandlungsansätze sind bisher begrenzt, weshalb die meisten Ärzte operieren. Hoffnung macht eine laufende Studie der University of Alberta, die die Schmerzen der Patienten mittels Sauerstoffentzug lindern soll.
Übersicht
Was ist der Karpaltunnel?
Der Karpaltunnel ist ein Durchgang zwischen den Handwurzelknochen an den Seiten und einem Band, das wie ein Deckel darüber liegt. Dadurch laufen Sehnen und ein Nerv – der Nervus Medianus. Er ist einer der Haupt-Handnerven, auch mittlerer Handnerv genannt und versorgt Daumen, Zeige- und Mittelfinger.
Wodurch entsteht das Karpaltunnelsyndrom?
Gerät der mittlere Handnerv etwa aufgrund angeschwollener Sehnen im Karpaltunnel unter Druck, entsteht das Karpaltunnelsyndrom.
Verantwortlich sein kann etwa eine Hormonumstellung – aber auch ein alter Bruch, bei dem sich der Karpaltunnel verschoben hat. „In seltenen Fällen gibt es auch ein überlastungsbedingtes Karpaltunnelsyndrom“, erklärt Professor Jörg van Schoonhoven, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie. Doch über diese Ursache diskutieren Wissenschaftler derzeit noch. Laut der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) „spricht vieles dafür, dass der Tunnel bei manchen Menschen (wahrscheinlich bis zu zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung) von Geburt an zu eng angelegt wurde und dass diese Enge familiär gehäuft vorkommt. Sie werden möglicherweise in Ihrer Familie weitere Mitglieder kennen, die ähnliche Beschwerden wie Sie haben“.
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Typische Symptome und Diagnose
Es kribbelt, es ziept, nichts rührt sich mehr – ein Gefühl „einschlafender Hände“ ist ein typisches Anzeichen für das Karpaltunnelsyndrom. Besonders häufig tritt es nachts auf. „Man wacht davon mehrmals auf“, sagt Professor Veit Braun von der DGNC. „Irgendwann kommen die Beschwerden auch tagsüber – zum Beispiel beim Fahrrad- oder Autofahren“. Laut der DGNC kommt es bei zunehmender Ausprägung „zu ständigen Kribbelmissempfindungen des Ring- und Mittelfingers, dann auch des Zeigefingers und Daumens. Schließlich können die Finger ständig taub werden und bleiben“.
Unbedingt sollte die Diagnose rasch gesichert werden – und das geht mittels Untersuchung der elektrischen Leitfähigkeit der Nerven beim Neurologen sichert die Diagnose: Karpaltunnelsyndrom. Die Untersuchung sei weitgehend schmerzlos.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Solange die Beschwerden noch leicht sind, kann eine Armschiene für nachts gegen das Abknicken des Gelenks helfen, die sogenannte Traktionstherapie. Dabei wird dem Nerv im Karpaltunnel mehr Platz verschafft, indem der Unterarm mechanisch gedreht wird. „Das wird aber oft als unkomfortabel empfunden“, sagt Oliver Kastrup. Die zweite Möglichkeit: eine Kortisonspritze. Diese schlägt laut Deutscher Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung oft gut an – zum Beispiel bei Schwangeren, deren Hormonhaushalt sich nach der Geburt wieder umstellt.
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Wann ist eine Operation sinnvoll?
Bei der Operation wird das Band, das den Deckel des Karpaltunnels bildet, unter örtlicher Betäubung gespalten. Dadurch verlängert es sich – und das entlastet den Nerv. Die Operation ist in Deutschland gängig und wird jährlich etwa 300.000 Mal durchgeführt, häufig ambulant und unter örtlicher Betäubung.
Doch das läuft natürlich nicht ganz ohne Risiko ab. So kann der Nerv verletzt oder in seltenen Fällen sogar durchtrennt werden. Sofern jedoch alles gut geht, ist die Wunde nach ungefähr zwei Wochen verheilt und die Beschwerden des Karpaltunnelsyndroms meist verschwunden.
Ist der Nerv bereits zu stark geschädigt und der Muskel verkümmert, ist der Schaden unter Umständen irreparabel. Deshalb sollte man eingeschlafene Hände unbedingt früh genug ernst nehmen – und für die Diagnose einen Neurologen aufsuchen.
Lichtblick Sauerstoffentzug?
Relativ neu ist der Ansatz, Nervenschmerzen mit kurzen Luftstößen mit verringertem Sauerstoffgehalt als normal zu bekämpfen. Über eine Atemmaske wird im Wechsel Luft mit wenig Sauerstoff und Luft mit viel Sauerstoff. Das Verfahren nennt sich Intervall-Hypoxie-Hyperoxie-Therapie oder intermittierende Hypoxie genannt und wird schon länger im Leistungssport genutzt (Stichwort Höhentraining), um Sportverletzungen vorzubeugen und die Leistungsfähigkeit zu verbessern. Doch mehr und mehr zeigt sich der Nutzen für Patienten mit neurologischen Schäden.
Nachdem Tests der University of Saskatchewan (Kanada) mit Ratten 2015 gezeigt hatten, dass sauerstoffarme Atemluft deren Nervenheilung beschleunigte3, konnten die Forscher der University of Alberta 2017 auch bei Tests mit Patienten mit teilweise geschädigtem Rückenmark Erfolg vermelden.4 Die Therapie habe zu einer Kraftverbesserung sowie zu einer Zunahme der Ellenbogenbewegung geführt. Dieselben Forscher testen die intermittierende Hypoxie aktuell mit Karpaltunnelsyndrom-Patienten. Bestätigen sich die Hoffnungen, wird diese Therapie vielen Patienten helfen können.
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Quellen
- 1. Deutsche Hirnstiftung: Karpaltunnelsyndrom: Jeder Sechste ist von eingeklemmtem Nerv am Handgelenk betroffen (2022, aufgerufen am 29.06.2023)
- 2. Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie: Karpaltunnelsyndrom (aufgerufen am 29.06.2023)
- 3. University of Saskatchewan: „Intermittent hypoxia induces spinal plasticity in rats with cervical spinal cord injury“.(2015, aufgerufen am 29.06.2023)
- 4. University of Alberta: „New discovery in spinal cord injuries shows oxygen can improve blood flow and restore motor function: U of A study“ (2017, aufgerufen am 29.06.2023)