
9. Juni 2025, 8:27 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Wer etwa mit Schmerzen in die Arztpraxis kommt, wünscht sich ein offenes Ohr, Empathie und einen Plan, wie es weitergehen kann. Oft läuft es aber ganz anders, wie eine Umfrage zeigt.
Der Schmerz ist stark, der Arzttermin war der Strohhalm, an den man sich geklammert hat. Wer dort aber erlebt, dass der Arzt oder die Ärztin die Beschwerden herunterspielt, anstatt eine passende Behandlung anzustoßen, ist frustriert. Und verzichtet beim nächsten Mal vielleicht darauf, Hilfe zu suchen. Eine YouGov-Umfrage im Auftrag von Doctolib zeigt, dass solche Erfahrungen im Gesundheitssystem nicht selten sind – und Ärzte die Beschwerden von Frauen häufiger ignorieren als die von Männern.
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Übersicht
- „Reduzieren Sie Stress, dann wird das schon wieder“
- Beschwerden bei Frauen häufiger als bei Männern als psychosomatisch eingestuft
- Arzt ignoriert Beschwerden – 57 Prozent der Frauen mussten für richtige Diagnose mehrere Ärzte aufsuchen
- Die Angst, vom Arzt nicht ernst genommen zu werden
- Das kann man selbst gegen „Medical Gaslighting“ tun
- Quellen
„Reduzieren Sie Stress, dann wird das schon wieder“
Ob unangemessener Kommentar oder falsche Diagnose: 31 Prozent der befragten Frauen geben an, dass sie in Arztpraxen oder Kliniken bereits negative Erfahrungen aufgrund ihres Geschlechts gemacht haben. Bei Männern ist der Anteil deutlich geringer (zehn Prozent).
Beschwerden bei Frauen häufiger als bei Männern als psychosomatisch eingestuft
Was Frauen der Umfrage zufolge ebenfalls häufiger erleben als Männer: dass Beschwerden als psychosomatisch abgetan werden. Heißt: Arzt oder Ärztin vermutet die Ursache für eine Erkrankung in der Psyche, was aber längst nicht immer stimmen muss. 44 Prozent der weiblichen Befragten berichten, dass ihnen bereits ein- oder mehrfach suggeriert wurde, dass ihre Beschwerden psychosomatisch sind. Bei den männlichen Befragten sind es 28 Prozent.
Arzt ignoriert Beschwerden – 57 Prozent der Frauen mussten für richtige Diagnose mehrere Ärzte aufsuchen
Wenn ein Arzt Beschwerden ignoriert und gesundheitliche Probleme als übertrieben oder fälschlicherweise als psychosomatisch einschätzt, hat das oft Folgen: Eine richtige Diagnose und/oder eine passende Therapie verzögern sich. 57 Prozent der Frauen berichten, dass sie dafür schon einmal mehrere Ärztinnen und Ärzte aufsuchen mussten. Bei den Männern sind es 45 Prozent.
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Die Angst, vom Arzt nicht ernst genommen zu werden
Die Angst, nicht ernst genommen zu werden, führt mitunter auch dazu, dass Betroffene gar nicht erst einen Arzttermin vereinbaren – und Schmerzen lieber aushalten. Auch davon berichten Frauen häufiger als Männer (39 vs. 23 Prozent).

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Das kann man selbst gegen „Medical Gaslighting“ tun
Wenn ein gesundheitliches Problem vom behandelnden Arzt oder der Ärztin heruntergespielt wird, spricht man auch von „Medical Gaslighting“. Was man tun kann, wenn man das Gefühl hat:
- Empfindungen ansprechen und nachfragen, wie die Ärztin oder der Arzt ohne eingehende Untersuchung zu seiner oder ihrer Feststellung kommt
- eine zweite Meinung in einer anderen Arztpraxis einholen
- eine Begleitperson zum Termin mitnehmen. Sie kann einspringen, wenn es einem selbst die Sprache verschlägt.1
Die Umfrage wurde vom Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag von Doctolib durchgeführt. Zwischen dem 13. und 15. Mai 2025 wurden 1.037 Männer und Frauen ab 18 Jahren befragt.

„Es bleibt nicht nur bei einem schlechten Gefühl“
„Natürlich sollte man auf Grundlage dieser Umfrage jetzt nicht den Fehler begehen, alle Ärzte und Ärztinnen über einen Kamm zu scheren. Auch ist die Zahl der Befragten nicht groß und selbstverständlich betrifft das Thema, dass Beschwerden heruntergespielt werden, nicht nur Frauen. Eine Tendenz zeigt die Umfrage aber eben doch – und wirft ein Licht auf tief sitzende, geschlechtsspezifische Vorurteile. Es kann nicht sein, dass Frauen im Jahr 2025 immer noch systematisch weniger ernst genommen werden und, wie die Umfrage zeigt, häufiger unter Fehleinschätzungen und Verzögerungen bei Diagnosen leiden.
Wenn sich Patientinnen und Patienten von ihrem Arzt nicht gehört fühlen, bleibt es schließlich nicht nur bei einem schlechten Gefühl. Eine falsche oder (zu) späte Diagnose kann gravierende Folgen haben. Wer auf einen Arzt trifft, der die geschilderten Beschwerden ignoriert oder abtut, sollte sich ermutigt fühlen und von seinem Umfeld dazu ermutigt werden, eine zweite Meinung einzuholen und sich Unterstützung zu holen. Und auch dann gilt: Nehmen Sie nicht alles kommentarlos hin, was der Arzt vorschlägt!“
*Mit Material von dpa