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Aufschlussreiche Forschungsergebnisse

Was passiert im Gehirn, wenn es still wird?

Stille Gehirn
Stille ist gesund, denn Dauerlärm lässt das Stresshormon Cortisol im Körper ansteigen. Foto: Getty Images
Friederike Ostermeyer
Freie Autorin

06.01.2021, 11:34 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Wie wichtig Momente der Stille sind, darauf deuten zahlreiche Studien hin. Erfahren Sie hier, was die Abwesenheit von störenden Geräuschen für unsere Psyche bedeutet und warum wir dringend lernen müssen, dies nicht nur auszuhalten, sondern auch zu genießen. Kleiner Spoiler: Dank Stille wird ein bestimmtes Hirnareal aktiviert, das wir sehr gut gebrauchen können!

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Wann und vor allem wo erfahren wir eigentlich noch Stille? Richtige Stille, bei der kein Straßenlärm, keine Musik, kein Geplapper oder sonst ein künstliches Geräusch an unsere Ohren dringt? Und selbst wenn es doch einmal ruhig ist – wie lange halten Sie es dann aus, nicht den Fernseher anzuschalten oder das Smartphone in die Hand zu nehmen? Es scheint manchmal: Je weniger wir Stille erleben, desto schwerer lässt sie sich ertragen. Doch tatsächlich sind unsere „Steinzeit-Gehirne“ weder auf den modernen Dauerlärm noch auf Dauerbespaßung angelegt.

Umso interessanter, dass die Hirnforschung erst seit wenigen Jahren ganz langsam dahinter kommt, wie wichtig Momente der Ruhe für ein gesundes Gehirn und damit einen gesunden Geist sind. „Was genau im Gehirn passiert, wenn Stille einkehrt, lässt sich bis heute nicht genau sagen“, erklärt Dr. Joshua Grant, Hirnforscher am Max-Plank-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, im Gespräch mit FITBOOK. Dafür sei das Hirn auch viel zu komplex, aber die Vermutung lege nahe, dass Ruhe für unser geistiges Wohlbefinden wichtig sei und sogar Ängste abbaue. „Dass Mediation oder ein Spaziergang in der Natur die Herzfrequenz stabilisiert, ist bereits gut nachgewiesen“, sagt Grant, „welchen Anteil die Stille allerdings dabei im Detail hat, wissen wir nicht.“

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Für Stille bezahlen Menschen jetzt schon

Sicher ist: Immer mehr Menschen sehnen sich instinktiv nach Stille. Dass sie sogar bereit sind, für die Abwesenheit von etwas zu bezahlen, ist relativ neu, zahlt sich aber aus. Sogenannte Retreats in Klöstern, Meditationswochenenden oder Schweigeseminare sind gefragt wie nie.

Dauerlärm lässt das Stresshormon Cortisol im Körper ansteigen, so viel steht fest. Zu viel Stress ist ungesund. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vermutet sogar, dass es jährlich 300 Todesfälle in Europa gibt, dessen Ursachen auf übermäßigen Lärm zurückzuführen sind. Körper und Gehirn reagieren also messbar auf Lärm, aber wie reagieren sie auf das Gegenteil?

Der Wert der Stille zufällig entdeckt

Bei einer 2006 durchgeführten Studie, bei der es eigentlich um die psychologische Wirkung von Musik gehen sollte, entdeckte der italienische Arzt Luciano Bernardi eher zufällig, dass sich die Probanden durch die bis zu zwei Minuten anhaltenden Ruhepausen zwischen den ihnen vorgespielten Musikstücken weit mehr entspannten als es die beruhigendste Entspannungsmusik je vermochte. Auf einmal wurde die Stille zum interessantesten Objekt der Untersuchung. Klar wurde auch: Das Gehirn nimmt Stille wahr ab dem Moment, bei dem sie einsetzt, und ab dem Zeitpunkt, an dem sie aufhört.

2013 sorgte zudem eine Untersuchung an Mäusen für Aufregung: Zwei Stunden Stille pro Tag sorgten dafür, dass sich nachweislich neue Gehirnzellen am Hippocampus der Tiere bildeten. Ist Stille also ein Brain-Booster? Solche Studien seien zwar mit Vorsicht zu genießen, weil sie sich nicht ohne weiteres auf das menschliche Gehirn übertragen ließen, betont Grant, dennoch zeigten sie, dass es im Kopf alles andere als still sei, wenn es außen ruhig werde.

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Das mysteriöse „Default Mode Network“

Eine große Rolle bei Stille spielt das sogenannte „Default Mode Network“. „Es ist immer aktiv, wenn es von außen kaum Reize gibt“, erklärt Hirnforscher Grant. „Zum Beispiel beim Tagträumen, Fließenlassen der Gedanken oder einfach da sein. Sobald wir anfangen zu lesen oder einen Film zu gucken, nimmt die Aktivität sofort ab.“

Zahlreiche Studien belegten bereits, dass bei einem aktiven Default Mode Network im Hintergrund Informationen ausgewertet und gesammelt werden. Wie sich das im Bewusstsein bemerkbar macht? Innere Bilder und Gefühle tauchen wie zufällig auf, plötzlich sprudeln die Ideen, Dinge ergeben auf einmal Sinn, der rettende Einfall, an dem man so lange herum gegrübelt hat, „purzelt“ von ganz alleine herein, auch das (Selbst)-Reflektionsvermögen funktioniert überdurchschnittlich gut. Ein inspirierender Zustand der Selbstvergessenheit, deshalb nicht zu verwechseln mit dem lähmenden Gefühl der inneren Leere. Was wir alle in irgendeiner Form schon einmal erlebt haben, wurde 2013 mit einer Studie eindrucksvoll belegt.

„Nur wird dieses Netzwerk eben nicht oft benutzt“, stellt Grant fest. In einer lauten Umwelt, die auf ständige Ablenkung ausgerichtet ist, erst recht nicht. Doch noch immer ist das Default-Netzwerk für die Forschung ein Mysterium.

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Stille genießen: Kann man lernen und lohnt sich

Je mehr sich die Wissenschaft mit der Ruhe beschäftigt, desto mehr deutet alles darauf hin, dass regelmäßige Zeiten der bewussten Stille Stress reduzieren, das Gehirn regenerieren, die Kreativität steigern, vor Depressionen schützen und allgemein für innere Zufriedenheit sorgen. Das Problem ist nur: Stille ist gar nicht so einfach zu ertragen, und da kann die Zeit im gebuchten einsamen Häuschen in den Bergen paradoxerweise schnell in Stress ausarten. In der Psychologie hat man bereits erkannt, dass das Genießen von Ruhe oft erst einmal wieder erlernt werden muss.

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Das Gehirn ist zu Großartigem fähig

Stille bleibt für die Neurowissenschaft trotz aufschlussreicher Studien weiterhin ein Rätsel. Doch dass das Gehirn zu Großartigem fähig ist, wenn Ruhe einkehrt, erfährt auch Grant als Hirnforscher immer wieder am eigenen Leib: „Ich habe in Momenten der Stille unglaublich anregende Filmsequenzen vor meinem inneren Auge gesehen. Das kann ein sehr mächtiges und überwältigendes Erlebnis sein“, verrät er FITBOOK. Und so zeigt die Stille uns: Wenn es außen ruhig wird, geht es im Gehirn erst so richtig los.

Themen: Psychologie
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